Brit Mila V

Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit

Hier mein Beitrag iSienceBlogs zur Diskussion zu einem Artikel von Christian Reinboth, Was dürfen Ärzte?, vom 31.08.2012,mit über 580 Kommentaren.
Mehr zur aktuellen Diskussion in den beiden Leitmedien FAZ & SZ

Worum geht es eigentlich bei diesem Diskurs? 

1. Es sollte jedem vernünftigen Menschen klar sein, dass neu  geborene Knaben nicht aus hygenischen Gründen beschnitten werden müssen, damit ihre zukünftigen Sexualpartner gesund bleiben.

2. Die Zirkumzision hat für das Judentum und den Islam eine konstituierende Relevanz, wie für die Katholiken die Taufe von Neugeborenen.

3. Es gibt keine Auschwitz-Keule! Das was in Auschwitz und Treblinka passiert ist, ist so ungeheuerlich, das wir Nachgeborenen, mit Demut den Blick zurück wagen sollten. Die Nachgeborenen der Überlebenden haben alles Recht immer wieder daran zu erinnern-, wer wen nicht sie, hätte sonst das Recht dazu?

Wer Auschwitz als Kind überlebte und zusehen musste, wie die eigenen Eltern brutal ermordet wurden, ist in einer Weise traumatisiert, wie wir es uns nicht vorstellen können. Und allein deshalb, weil die Eltern einem Volk angehörten, dem die Nazis im Besonderen den Krieg erklärten. Ein Trauma das Bände füllt und manch einer nicht überlebte und manch einer sich deshalb aus dem dritten Stock in den Tod stürzte -, wie Primo Levi, in stillem Gedenken.

Und hier komme ich zu dem Punkt, der mir bei dieser Diskussion zu kurz kommt. Die Traumafrage: ICH stimme als Therapeut und Arzt uneingeschränkt dem Grundsatz, primum nihil nocere zu. D.h. für mich ist selbstverständlich, dass jedes Kind, in jedem Alter ein Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit hat und das wir Erwachsenen dies vorrangig zu schützen haben.

Babys und Knaben die Vorhaut ohne Betäubung zu beschneiden traumatisiert und das Ritual hinterlässt Spuren im unterbewussten Erleben des Menschen. Dies wussten auch die Vorväter vor uns und deshalb betteten sie das ganze Ereignis in einen festlichen Kontext ein, um die Folgen abzufedern,  denn auch ihnen war klar: „wir machen nicht Erfahrungen, sondern Erfahrungen machen uns.“ Es ist völlig legitim, diese Erfahrung mit einem fulminanten Fest zu überhöhen, wir wissen, dass das Menschen hilft, im Positiven die schmerzhaften Erfahrung zu verarbeiten. Wir können sagen, die Inszenierung der Festlichkeit ist eine Form der Wiedergutmachung, gegenüber dem neuen Mitglied der Gemeinschaft, ob man dies nun nach vollziehen kann, will und gut findet oder nicht.

Die Zirkumzision, wie ich es verstehe, ist im Judentum eine Überlebensstrategie. Sie ist die notwendige Antwort auf eine Bedrohung. Sie wird als konstituierend beschrieben, sie besiegelt die Zugehörigkeit des Neugeborenen zu seinem Volk, wie auch immer der Hintergrund der Bedrohung erlebt wird. Moses Frau Zippora retten ihren Sohn, weil sie die Beschneidung nachholt, wo der  Vater – Moses – sich selbst vor der Verantwortung gedrückt hat dies zu tun. Nachzulesen in Exodus 4,25.

Ich möchte mit meinem heutigen Beitrag den Blick auf diese Strategie schärfen, denn ich denke, dem Dialog, den wir hier exemplarisch führen, fehlt die nötige Gelassenheit. Wir sind behaftet und in diesem Zustand ist es schwierig zu zuhören, was mein Gegenüber wirklich meint. Keiner im Islam oder Judentum will das Wohl der Kinder verletzen. Das suggerierte Unterwerfungsritual ist bei weitem nicht von solch einer Brutalität gezeichnet, wie es mit den Worten von Verstümmelung und Amputation unterstellt wird.

Ich will auch nicht die reale Belastung der Kinder, mit dem Einen und dem Anderen Erlebnis vergleichen. Mein Vergleich bezieht sich auf den Kontext, in dem sich das Eine ereignet und wie es eingebettet wird. Das was die Kinder in Auschwitz erlebten bleibt unvergleichlich, ihre Ohnmacht, als sie zusehen mussten, wie ihre Eltern unterworfen wurden, bleibt eine Mahnung – unauslöschlich in die Menschheitsgeschichte eingebrannt. Die Infragestellung der Praxis der Beschneidung wird von jüdischer Seite als ein Menetekel verstanden und so ist auch die Aufregung in den jüdischen Gemeinden verständlich.

Rembrandt H.v.Rijn Belsazar National Gallery London
Rembrandt H.v.Rijn Belsazar National Gallery London

Die Überlebenden dieser Generation tragen dieses Trauma der Unterwerfung ihres Volkes in ihren Herzen. Ihnen deshalb mangelnde Empathie zu unterstellen ist ein al zu einfacher Versuch die Stagnation in der Diskussion zu erklären. Wem das konstituierende Moment dieses Rituals fremd und unverständlich ist, wird auch das Trauma welches dieses begründet nicht verstehen. Wem der Schmerz des Säuglings fremd und unverständlich ist, wird auch das Trauma der Kinder nicht verstehen, die mit ihren Schmerzen allein gelassen werden. Nochmals: „wir machen keine Erfahrungen, Erfahrungen machen uns!“

Es ist meiner Ansicht nach auch unerheblich, wie alt dieses Ritual ist, ob es nun seit 4000 Jahren oder seit 1200 Jahren praktiziert wird. Es ist eine Antwort der Gemeinschaft auf ein Bedrohungsszenarium und soll die Reihen innerhalb des Volkes stärken. Mit Auschwitz hat das europäische und insbesondere das deutsche Judentum in dieser Hinsicht zu Recht die Gelassenheit verloren. Die Bedrohung des Judentums in Deutschland war real und ist auch nach 1945 weiterhin ganz real, es wurden Juden auf offener Straße diffamiert und sogar erschossen.

Die Deutsche Zivilgesellschaft hat nach 1945 die Aufarbeitung der Schreckensherrschaft nur zögerlich begonnen. Der Film die Shoa von Claude Lanzmann, hat eine breite Diskussion eröffnet. Sicher im Vergleich mit Japan hat die Zivilgesellschaft der Bundesrepublik geradezu offensiv die eigene Verantwortung für den europäischen Teil des zweiten Weltkriegs diskutiert und erforscht. Doch die Art, wie insbesondere in der Adenauerära mit dem Erbe des Nationalsozialismus umgegangen wurde, hat die Wunden nicht kleiner, sondern die Skepsis und Bedenken eher größer werden lassen.

Doch das aus meiner Sicht Entscheidende, wird weiterhin klein geredet. Es ist die Dimension des Schadens, den die Naziherrschaft, durch die nahezu vollständige Vernichtung der deutsch-jüdischen Kultur bewirkte. Die aufklärerische und insbesondere intellektuelle Gelassenheit des deutschen Judentums ausgehend von Moses Mendelsohn, Martin Buber, Franz Rosenzweig bis hin zu Viktor Frankel ist zerstört. Sigmund Freud konnte ganz gelassen darauf verzichten seine Söhne zu beschneiden, ohne das er deshalb des Verrates an seinem Judentum bezichtigt wurde. Diese verlorene Gelassenheit können die intellektuellen Beiträge von Micha Brumlik oder Michael Wolffsohn initiieren, bleiben aber vor dem Hintergrund der Geschichte eine Ausnahme.

Ich wünsche mir die Renaissance der Gelassenheit, auf beiden Seiten. Sicher sollen wir nicht Neugeborene mit unnötigen Schmerzerfahrungen belästigen, andererseits dürfen wir nicht das Trauma, in Folge der totale Vernichtung des deutschen Judentums in den Öfen von Auschwitz und Treblinka, und die davon ausgehende Bedrohung des Judentums in Deutschland ignorieren. Die Bedrohung war und ist real-, und die Beschneidung von Knaben, wie immer man dazu steht, eine Überlebensstrategie für das jüdische Volk. Die aktuelle Diskussion kann fruchtbar sein, der echte Dialog im Sinne Bubers Neues erbringen – insofern bin ich sehr optimistisch – so kann einer Kultur der Brit shalom statt einer Brit mila bereitet werden – in aller Achtsamkeit und in allem Gleichmut.