Die Kanzlerin im Streichelzoo


Sollte ich mich zu Wort melden? Brauch ich das? Eigentlich ist doch schon alles dazu gesagt, alle Häme, die in ein Fass passt, ist über die Kanzlerin, unter dem Hashtag #merkelstreichelt im Netz ausgeschüttet worden.

Das Netz prangert an, polemisiert und polarisiert. Mit Aufklärung hat das wenig zu tun.
Wer aufklären will, der schreibt Bücher, liest Texte jenseits der 140 Zeichenmarke.

Dennoch, ich will den Mund nicht halten, weil es mich schon lange nervt, wenn Politiker ihre Politik in Form von Kampagnen dem Volk näher bringt, weil Marketingexperten das empfehlen. Dieser Kanal sollte tabu sein – jetzt wisst ihr, was ich dazu meine.

Der Spannungsbogen zwischen zwei Tweets, hat mich das noch einmal denken lassen, mich darin überzeugt, dagegen anzuschreiben. Ich bin empört – die Kanzlerin im Dialog, ist mir ein weiterer Beweis für diese Propaganda.

Was ich zu sagen habe: einerseits empöre ich mich, über die Ausführungen unzähliger Foristen, zum Einfühlungsvermögen der Kanzlerin, es scheinen Millionen von ihnen, in den beiden Mandelkernen (Amygdala) der Kanzlerin zuhause zu sein; sie wissen, was sie fühlt, was sie leitet und was nicht. „Es irrt der Mensch, so lang er strebt“.

Was, unter dem Hashtag #merkelstreichelt zu lesen ist, ist allerhöchsten als Selbstoffenbarung der Autoren selbst. Der Forist tut kunnt, was an Tiefe, Weite in seinem eigenen Empfindungsspektrum möglich ist.

Mitgefühl ist keine Größe des Webs, so weing, wie das Netz einer Spinne Mitgefühl entwickelt, für die Fliege, die sich in ihm verfängt. Der Logarithmus des Webs kennt kein eigenes limbisches System, es verzichtet auf diese Struktur, ohne die der Rechner des Tiers Mensch gar nicht erklingen kann.

An die Stelle des limbischen Systems tritt jeder Einzelne Nutzer, der vor dem Bildschirm, mit den Finger auf der Tastatur tanzt. Wir, du und ich, sind das limbische System des Netzes. Statt zweier Kerne, gibt es Millionen von Kernen, die den Tenor, die Einfärbung einer Information im Netz bestimmen. Rosarot oder Schwarz. Mitgefühl ist keine Stärke des Netzes, Fairniss noch weniger. Ausgeteilt wird blindwütend, als ob es keinen Morgen gebe.

Andererseits und viel mehr empört mich der Stil der Kanzlerschaft Angela Merkels.

Gegenüber den Irrungen und Wirrungen der Foristen, kann ich milde entwickeln, gegenüber dem Theater, der PR-Abteilung des Kanzleramtes nicht.

Worin liegt eigentlich noch der Unterschied, in der Ikonographie der Deutschen Kanzlerin und einem Staatspräsidenten, der sich mit absolutistische, feudalistischen Attitüden seiner heimischen Öffentlichkeit präsentiert. „Präsentation ist Heute, Inhalte Gestern.“

Was kommt nach dem Streichelzoo, der Gang durch die Ruhmeshalle, den Olymp der Nation, eingerahmt von einem Spalier von Fahnen, die sich pathetisch verneigen? – Ich weiß, ich übertreibe, aber, wie anders soll ich meinen Schmerz zum Ausdruck bringen, der sich auf Netzhaut und Trommelfell niederschlägt? – Ich will mir das nicht mehr länger antun. Unsere Vorväter haben doch nicht die Feudalherrn zum Teufel gejagt, um sie durch die Hintertür wieder herein zu lassen. Der Bürger strebt nicht so sehr nach Freiheit, sondern danach selbst Feudalherr sein zu dürfen – ist das die Lehr aus dem ganzen Spiel?

Die Kanzlerin will nur reden und ich soll mich nicht so aufregen, aber ich rege mich auf. Sie geben vor, es sei ein Dialog, aber es ist kein Dialog, es sind Predigten zur Volksbelehrung, Vor der Wende haben sie solche Unterrichtseinheiten zur politischen Bildung in der DDR, als das gebrandmarkt, was es ist, Propaganda. Heute praktizieren sie es selbst, ganz unverhohlen.

Die Kanzlerin mag mich einladen, aber von meinen Kindern, hat sie die Finger zu lassen. Ich bin gegen die Politisierung von Kindheit, ich halte nichts von Kinderparlamenten. Lasst die Finger weg von unsern Kindern, stattdessen finanziert Bibliothek, macht deren Türen weit auf, damit sich die Kids, nicht nur bei Google und Wikipedia, informieren können, was die Welt im Inneren zusammenhält und wie mannigfaltig sie ist.

Die Tränen, der 14 jährigen Reem, waren in erster Instanz die Reaktion ihres Körper auf eine nachvollziehbare innere Anspannung. Der Ausdruck eines physiologischen Vorgangs, der Entspannung.. Ob es Ausdruck von Verzweiflung war unterliegt der jeweiligen Preisfindung bzw. Interpretation, wie es in vielen Kolumnen zu lesen war.

Je suis amygdala! Quatsch, denn ganz ehrlich, wessen Organismus wäre, in solch einem Kontext, nicht angespannt; wessen Herz würde nicht höher schlagen, wenn die mächtigste Frau der Welt, mit einem persönlich spricht; wessen Ruhepuls verändert sich da nicht? Es sei denn, sie pflegen einen regelmäßigen Umgang, mit ihr, so dass ihre Mandelkerne nicht aufbegehren, keine Gefahr wittern. So abgebrüht ist keine 14 jährige, noch weniger eine, die nicht in ihrer Muttersprache davon erzählt, was ihr zuvor angetragen wurde, nämlich, entlang des Storyboards der PR-Kampagne, über ihre Lebenssituation, mit der Kanzlerin, über ihre Wünsche, Träume und Hoffnungen zu sprechen.

Was für Erwartungen wurde da in dem Kind geschürt?

Die Schülerin hat das mit Bravur gemacht und die Kanzlerin hat das treffend, zum Anfassen, als Trost verpackt, an sie zurück gemeldet. Ganz im Sinne von „connecting with people“!
Die Kanzlerin war keinesfalls sprachlos, „out of order“, sondern ganz im Geschehen, anders als der Moderator, der jenseits von Blickkontakten, aus dem Hintergrund dazwischen quatschte und von der Kanzlerin angemessen abgekanzelt wurde, weil „auf einen groben Klotz, gehört ein grober Keil“. Hier hat mich die Kanzlerin überzeugt, als eine, die wach und aufmerksam im Kontext steht.

„Meinem“ Sohn, „meinen“ Töchter hätte ich diesen Kontext nicht zugemutet, ich frage mich dann, was mich von solchen Eltern unterscheidet? Wieso bin ich hier viel weniger tolerant und offen? Hier mache ich zu und sage Nein, nicht mit mir und meiner Brut! Hier habe ich einen Schutzimpuls! Kinder sind keine Politur für die Macht. Wer sich Kinder, wie ein Brosche an sein Revers hängen will, soll es mit seinen eigenen Balgen tun, dann denke ich an die Göbbels-Family und mir wird schlecht.

Sowenig, wie ich Kreuze im Klassenzimmer befürworte; sowenig befürworte ich Parteien im Klassenzimmer. Ich bin mit geprägt von den Kindheitserzählungen meiner Mutter, deren Schulzeit bis auf die letzten beiden Jahre, unter dem Hakenkreuz statt fand.

Selber, nach einem Semester Studium in Frankfurt, habe ich das Weite gesucht, bin in die Niederlande zum Studieren gegangen,  empfand es als intellektuelle Wohltat, nicht ungefragt, von politisierenden Studentengruppen, in wirre Diskussionen verstrickt zu werden.

Damals wie Heute, will ich mich selbst entscheiden, an welchem politischen Disput ich teilnehme, ich empfand und empfinde es als Nötigung, mich ungefragt politisch einbringen zu sollen. Auch deshalb sind mir Politiker zuwider die, von PR-Abteilungen unterstützt, Politik machen. Sie drängen uns Meinung auf, statt uns selber Meinung bilden zu lassen.

Bundesregierungen setzen, seit den Tagen Adenauers, auf die Arbeit von Werbeagenturen. Die Entstehung des Mythos vom Wirtschaftswunder ist nicht ohne die PR-Kampagne im Dunstkreis der Regierung Adenauer, in den 1950 Jahren denkbar. Und das was da erzählt wurde, bildete nicht die Realität ab, so wenig wie Schokolade essen dünn und happy macht. Vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte, sollte es uns eine Lehre sein, parteipolitische Propaganda aus Prinzip zu misstrauen.

Ich kritisiere die Kanzlerin, weil sie, statt sich im Parlament zu erklären und dort die Diskussion über ihre politischen Vorstellungen zu führen, dieses meidet und stattdessen lieber die Öffentlichkeit, entlang einer PR-Strategie, aufsucht, um ein stilisierte Bild ihrer Politik zu erklären. Oder sollte ich sagen zu bewerben?

„Politik ist im hohen Maße symbolisch und theatralisch.“, zwitscherte mir ein Grand Senior aus den Niederlanden. Ich Dank ihm dafür. Er hat auf die Arbeiten des niederländischen Philosophen Paul Frissen aufmerksam gemacht. Ich stimme dem Satz zu. Das dies so ist, ist was mich am Verhalten und Benehmen des Politbetriebes stört, es ist theatralisch und symbolisch. Was für ein Theater war die Mahnwache, vor dem Brandenburger Tor, anläßlich der Anschläge auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris?

Solche Inszenierung passen mir nicht, operettenhaft, ohne jeglichen Erkenntnisgewinn, aber vielleicht ist das ja mein Fehler, eine solche Erwartung an Politik zu habe. Es ist eben immer Inszenierung, es stört mich wohl die Kulisse und das Ensemble. Vielleicht kann eine auf Interessenausgleich beruhende Politik nichts anderes sein, nichts anderes als eine Operette? Was meint Ihr?

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