Die Empfehlung des deutschen Ethikrats zur religiösen Zirkumzision, steht im Gegensatz zu den Stellungnahmen internationaler Ethikkommissionen der Ärzteverbände in Norwegen, Schweden und den Niederlanden. Ein Vergleich lohnt sich: Die Ethikkommissionen des norwegischen und des niederländischen Ärzteverbandes, sowie der Verband der schwedischen Kinderärzte halten die Beschneidung jenseits einer medizinischen Indikation für unethisch und sprechen sich deshalb für ein Verbot des Eingriffs auf dieser Basis aus.
Bei diesen Kommissionen handelte es sich jeweils um Ethikarbeitskreise der Ärzteverbände der jeweiligen Länder. Beim Deutschen Ethikrat sitzen Experten, die wohl aus theologischer, philosophischer und juristischer Sicht die Fragen beantworten, aber eben nicht aus unabhängiger, fachärztlicher Perspektive. Nötig wären neben Theologen und Juristen Fachärzte, die insbesondere aus pädiatrischer und im speziellen, aus kinderurologischer Sicht, die Fragen zur frühen Zirkumzision bei Babys und Kleinkindern diskutieren. Die Komplikationen werden verharmlost oder gar in Abrede gestellt, obwohl der konkrete Fall aus Köln, wegen solcher Komplikationen, den Stein ins Rollen gebracht hat. Es fehlt die Stimme des Epidemiologen und es fehlen Studien, die die Praxis beleuchten, die Risiken benennt und jenseits der religiösen Tradition minimal invasive Techniken beschreibt.
Autoren, wie GREGORY J. BOYLE von der Bond University, Australia; RONALD GOLDMAN aus Boston, USA Circumcision Resource Center; J. STEVEN SVOBODA aus Berkeley, USA Attorneys for the Rights of the Child und EPHREM FERNANDEZ aus Dallas Southern Methodist University, Dallas, haben sich mit den psychosexuellen Spätfolgen der Zirkumzision beschäftig, das war aber kein Thema im Ethikrat.
Die Britische Gesellschaft für Kinderchirurgie schreibt:
Die Komplikationen umfassen Blutungen, lokale Sepsis, meatale Verkrustungen oder Meatusstenosen, Entfernung von zu viel oder zu wenig Haut, Harnröhrenverletzungen, Amputationen der Eichel und Inklusionszysten.
Griffiths et al. berichten in ihrer prospektiven Untersuchung der Krankenhausbeschneidungen folgende Komplikationen: Nässende Wunden 36%, Unbehagen >7 Tage 26%, Infektionen, die Antibiotika erforderten 8.5% und Blutungen 1.5%. http://www.baps.org.uk/documents/Circumcision_2007
Der deutsche Ethikrat sprach ausgiebig über die Frage der Betäubung, ohne jedoch dazu einen Spezialisten der Anästhesie zu rate zu ziehen. Wie schwierig und auch riskant insbesondere die Anästhesie bei Säuglingen ist, wurde in diesem Zusammenhang nicht ausführlich diskutiert. Die Vollnarkose stellt ein hohes Risiko für den Neugeborenen dar und die Möglichkeiten der örtlichen Betäubung werden von Kinderärzten als überwiegend ineffektiv beschrieben.
Professor Tom de Jong, Kinderurologe, am UMC, Wilhelmina Kinderziekenhuiz in Utrecht äußert sich wie folgt:
Zelfs de verdoving mislukt vaak. „Het verdoven van een kinderpenis is erg moeilijk. Als ik het bij tien kinderen probeer, gaat het één of twee keer mis. Veel jongetjes krijsen dan ook als speenvarkens als ze worden besneden.
Selbst die Narkose gelingt oft nicht. „Die Betäubung eines Kinderpenis ist sehr schwierig. Wenn ich beispielsweise bei zehn Kinder probiere [eine Betäubung zu verabreichen],geht das bei einen oder zwei Kindern schief. Viele Jungen schreien dann auch immer wie Spanferkel, wenn sie beschnitten werden“
Quelle: Sander Becker: De besnijdenis: Grote gevolgen van een kleine ingreep. Trouw. 30.09. 2011
Die Funktion der Vorhaut aus der Sicht des Anatomen und Urologen:
Die menschliche Vorhaut ist in ihrem Aufbau einzigartig. Sie weist fünf Gewebsschichten mit einer ausgesprochen hohen Dichte an Nervenzellen auf und hat eine spezielle Funktion im Fortpflanzungsprozess.
…Die Vorhaut ermöglicht einen speziellen Gleitmechanismus im Rahmen des Geschlechtsverkehrs. Bei einer Zirkumzision werden 30–50% der Penishaut entfernt. Dadurch kommt es bei der Erektion zu einer Spannung der Penishaut und bei vaginaler Penetration zu einer erhöhten Reibung an der Scheidenwand. Dies kann, wie Untersuchungen zeigen, zu unangenehmen Sensationen bei beiden Sexualpartnern führen.
…
Bei beschnittenen Männern kommt es zu einer verstärkten Keratinisierung der Glans und dadurch mitunter zu einer verminderten Sensibilität, welche wiederum Einfluss auf die geübten Sexualpraktiken haben kann. Ein Plädoyer für die Vorhaut
Der Ethikrat verpasste die Chance, im Ergebnis offen miteinander über das, wie und was des Eingriffs zu diskutieren, geschweige denn über Alternativen als solche. Die Funktion der Vorhaut im allgemeinen und im speziellen kam auch nicht zur Sprache. So wurde auch kein unabhängiger Anatom dazu befragt. Die theologisch festgelegten Mediziner (Interessensvertreter der jeweiligen Religionen) erklärten sich selbst zu Experten zu all diesen Aspekten und reklamierten für sich die Deutungshoheit über alle Fragen zur Zirkumzision. Allein der Strafrechtler aus Hamburg, war frei von theologischen Festlegungen und wies auf die verfassungs- und strafrechtlichen Fragen hin.
Ausgiebig wurde im Ethikrat über den existenziellen Wert der Beschneidung für die beiden Religion geredet. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte hat zu recht, die Empfehlung des deutschen Ethikrats scharf kritisiert. (Presseerklärungen: BVKJ & DAKJ)
Die betroffenen Ministerien, der Rechtsausschuss und der Bundestag selbst werden sich nicht allein auf die Empfehlung des Ethikrates verlassen dürfen. Es braucht eine ausführliche parlamentarische Diskussion und auch eine öffentliche Anhörung von Experten unterschiedlicher Fachrichtungen. Die Diskussion darf nicht den Theologen und Juristen überlassen werden.