Mein Tag auf der Buchmesse in Frankfurt; meine Begegnung mit dem Grafiker und Autor Anton Kirchmaier; meine zweite Begegnung mit dem Komponisten Klaus-Peter Schneegass; und mein Gespräch mit Frank Berberich, dem Redaktionsleiter der Literatur- und Kulturzeitschrift „Lettre“ aus Berlin.
Der Tag beginnt trübe und kalt, alles unter 10° Celsius. Ich fahre in die Stadt, mit dem Taxi und der Bahn. Der Taxifahrer, ein junger, sportlich-casual gekleideter, leicht ergrauter Migrant, ein Bartträger aus Algerien, mit arabisch-französischem Akzent, ein Familienvater, mit zwei Jobs zum Überleben und er berichtet vom Verkaufsoffenen Sonntag in Frankfurt, den immensen Parkgebühren von 7 € die Stunde am neuen Skyline Plaza und wir sind uns einig, die Preise sind unverschämt -, halsabschneiderisch! Was bekommt man dafür angeboten, eine Autowäsche plus Kaffee to go?
Ich bin 20 Minuten nach Zehn in Halle 4.2 und schaue mich um. Wo will ich hin? Noch ganz planlos, mal schauen was mich anspricht. Ich will es, wie immer darauf ankommen lassen, scheinbar unbestimmt ziehe ich durch die Standschluchten, schaue rechts und links, schaue was mir ins Auge springt.
Um 12 Uhr bin ich in Halle 3.1 verabredet, denn ich will der Lesung von Klaus-Peter Schneegass lauschen-, kenne seine Lese-Performance nicht. Die meisten Autoren lesen schlecht, das können Schauspieler besser. Schneegass ist ein Gesamtkunstwerk. Noten-, Wort- und Bildakrobat zugleich, in der Tradition des Kubismus, zerschlagen und neu synthetisieren. Ganz wie in seinem Leben. Der Schläger war ein Räuber und zerschlug ihm gründlich seinen Leib. Keine Metapher.
Auf dem Weg dahin, stolpere ich über den Verlag Ahriman aus Freiburg und seine antiklerikale Mission. Werde angesprochen, lasse mich von der klugen, schlanken und brünetten Repräsentantin den § 166 erklären. Was mir bis dato unbekannt war –, Gotteslästerung wird zensiert, weil religiöse Gefühle vom Staat geschützt werden. Für was der Staat alles zuständig ist, er könnte auf jeden Fall von dieser Aufgabe befreit werden, er sollte das „outsourcen“, einer GmbH überlassen -, oder?
Mein nächster Stolperstein ist ein Buchtitel – Auschwitz: Technique and operation of the gas chambers by Jean-Claude Pressac. Der Stand hat ein Thema und am Tisch sitzen ganz lebendig Serge und Beate Klarsfeld. Schwerpunkt sind die verfolgten Kinder in Frankreich. Beeindruckend, Gänsehautfeeling.
Ich gehe weiter und stoße auf Wiglaf Drostes Buch “Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv“. Hier schreibt einer und spricht Klartext, – wohltuend. Ein Hauch von Freiheit liegt in der Luft beim lesen seiner Zeilen. Empfehlenswert, ein Buch zum Ausleihen, gehört in jede Stadtbibliothek, nicht unbedingt in den eigenen Bücherschrank.
Und weiter, ich entdecke einen Fotoband über die Fotoreporterin Gerda Taro und ihre Reportagen zum Bürgerkrieg in Spanien, – denke an meine Tochter. Dann stolpere ich vis à vis über das Bildnis von Luís de Camoes und den Titel „Com que voz? Mit welcher Stimme? Mein Interesse ist geweckt. Ich greife nach dem Schinken. Die Entdeckung portugiesischer Poetik, zweisprachig, eine Anthologie von Übersetzungen aus 4 Jahrhunderten. Liebenswert gemacht, als Paperback und auch gebunden für fast € 100 zu bekommen. Billig ist billig und Qualität hat ihren Preis! Die blonde Repräsentantin scheut nicht zurück und spricht mich an, erklärt mir das Konzept des Verlages Elfenbein aus Berlin. Ansprechend, nicht schrill und aufdringlich, ein Lesevergnügen -, was für den Bücherschrank, für ein Vermächtnis, weil es um die Tradition von Kultur geht. Ein anderes Buch des Verlages, in taubenblauem Leinen gebunden, ist ein weiterer zweisprachiger Gedichtband, mit Texten von Gabriele d’Annunzio. Einem umstrittenen Autor, weil er den Ideen des italienischen Faschismus nach hing, aber seine Gedichte prägen die italienische Sprache nach wie vor und er wird gerne rezitiert, sie sind naturalistisch und brauchen nicht im Giftschrank aufbewahrt zu werden. Lyrik vom Feinsten. Der Verlag überzeugt.
Auf der Bühne vom Klassik Radio stellt Patricia Klobusiczky den ungarischen Autor István Kemény vor. Der Mann ist die Schüchterheit in Person. Auf der #fbm13 trifft sich die introvertierte Schreiberzunft und Kemény ist ein klassisches Exemplar davon, sein neuer Romane ist melancholisch, sein Humor nicht vordergründig. Wer sich für die neuere ungarische Literaturszene interessiert sollte ihn unbedingt lesen. Inzwischen komme ich in Konflikt mit einem Schrank von Mann, ich besetze seinen Platz, als ich die übergroße Statur erkenne, weiche ich ihm ohne zögern aus und gehe meines Weges.
Meine nächste Station ist der Stand des Graphikers und Autors Anton Kirchmair. Ein dunkelroter Gartentisch, darauf zwei schwarze Halogenleuchten und davor zwei Gartenstühle, ein kleiner Stand, zwei Armlängen breit. Der Autor, ein schlanker, sportlicher Mann, Ende 60. Sein weißes Hemd ist bis auf den obersten Knopf zugeknöpft, sein Kopf schön rasiert, die Hände ruhen über einer Speerholzschatulle aus Ahornholz, darin überlange Karteikarten, die beidseitig bedruckt sind. Mit einem Vierwortsatz – „groß war ich gleich“ – beginnt seine Geschichte und es folgt eine Polonaise von kurzen Frage- und Antwortsätzen. Der Autor liest mit leiser Stimme und Blatt für Blatt zelebriert er seine Performance. Der Mann ist ein Gesamtkunstwerk und sein Frage-Antwortspiel hörenswert.
5 vor 12, ich muss die Halle wechseln und eile zur Lesung und zum anschließenden Autorenstammtisch zum Verlagsstand von Edition Fischer. Klaus-Peter Schneegass ist mit blauer Krücke und Mutter angerückt, sein Buch – „Baumfällarbeiten an der Waldesche“ liegt auf dem Tisch. Er liest zwei Kurzschlussgeschichten daraus vor. Er kommt an, die Zuschauer müssen lachen, die vorbei eilen halten inne. Das Leben ist ein Drama, welches nur als Lustspiel zu ertragen ist. Der Autor und Komponist erinnert mich an Zwergnase, sein verunstalteter Körper passt sogar nicht zu seiner perfektionierten Wortvirtuosität, seiner perfektionierten Kunst. Das ewig Schöne wohnt in seiner Sprache, seiner Stimme, seiner Intonation, geborgen in einem zusammengeklebten Körper, wie einer antiken Vase, deren Bruchkanten beim besten Willen nicht zu verbergen sind. Die Worte sind kein Scherbengericht, sie sind rhythmisiert und tauchen schlagartig auf, in aller Klarheit, sie drängen sich auf, ohne aufdringlich und schrill zu sein. Sie sind direkt, schonungslos und wahrhaftig. Der Mann ist ein Gesamtkunstwerk. Für ihn gibt es kein Zauberkraut, das den geschundenen Leib zurück verwandelt. Die Tat bleibt ungesühnt, der Täter immer noch auf der Flucht. Er hat den Kubismus leibhaftig durchlebt und die Synthese leibhaftig vollzogen. Er finished seine Lesung mit einem kraftvollen Gedicht – Der Welten Untergang (pdf).
Mein letztes Gespräch führe ich mit dem Redaktionsleiter Frank Berberich von der Literatur- und Kulturzeitschrift „Lettre“ Der Mann ist überzeugend, er drückt mir die Herbstausgabe Nr.102 / 2013 in die Hand. Ich interessiere mich für den Artikel über die Mittelmeer-Metropole Marseille. Der Text ist von Jean Viard einem Ökonom und Stadtrad Marseilles. Ich frage mich, was wohl die Kulturszene in Deutschland und Europa im Inneren zusammenhält, wie bleiben die Protagonisten miteinander in Kontakt, wer sind die Vermittler und Multiplikatoren, jenseits der schrillen Typen? Welche Chancen hat eine Malerin wie Anke Doberauer oder der Komponist Klaus-Peter Schneegass, beides Meister in ihrem Fach, beides Kosmopoliten, um von der europäischen Kulturwelt wahrgenommen zu werden? Welche?
Meine Tour de #fbm13 endet am Stand der beletristik-berlin, wo mir der Slogan – poetisiert euch – auffällt. Lyrik ist nicht out, wohl schwer zu vermarkten, – noch ein Grund mehr für ein BGE zu sein. Das ist die Kultur die unsere Sprache braucht. Es bleiben mir viele Fragen und die Bestätigung eines längst verblassten Werbeslogans „Du siehst nur das, was du erkennst!“, es wird Zeit meine Seh-, Lese- und Hörgewohnheiten zu ändern.