It’s a Boy

„Dieses Ritual widerspricht meinen jüdischen Werten -,
Tzaar Baalei Chajim“ Victor Schonfeld 

Der Dokumentarfilm über männliche Beschneidung des Regisseurs Victor Schonfeld, selbst Vater und Jude, untersucht innerhalb der jüdischen und muslimischen Communities in London die Auswirkungen des Eingriffs auf kleine Jungen als Frage der Kinderrechte.

Der Film wurde von “The Independent on Sunday” zum TV-Programm des Jahres gekürt und gilt nun als Standardwerk zur kontroversen Debatte über männliche Beschneidung.
Ursprünglich bei Channel 4 ausgestrahlt, zeigt IT’S A BOY Aufnahmen des Eingriffs und schildert seine Auswirkungen auf die Jungen. Regisseur Victor Schonfeld präsentiert die Diskussion als Frage der Kinderrechte und interviewt Experten jüdischen und muslimischen Glaubens, Mediziner und Familien. Seinen Schwerpunkt legt Schonfeld auf die aktuelle Situation der jüdischen Gemeinschaft in London und weltweit. (via Youtube It’s a boy) & (Haaretz, vom 12.10.2012, An end to the agony)

„Es wäre zutiefst beklagenswert, wenn die Beschneidung von minderjährigen Jungen in Deutschland legalisiert würde, sagt der jüdische Filmemacher Victor S. Schonfeld. Der Brite hat die Risiken des Rituals im Film „It’s A Boy!“ dokumentiert. Nun appelliert er an die Bundestagsabgeordneten, die Beschneidung ohne medizinische Gründe nicht zu erlauben.“
Ein Gastbeitrag in der SZ, vom 30.11.d.J. von Victor S. Schonfeld (full text)

Alice Miller vs J.Harvey Kellogg

Du sollst nicht fühlen…

„Ein Mittel gegen Masturbation, welches bei kleinen Jungen fast immer erfolgreich ist, ist die Beschneidung. Die Operation sollte von einem Arzt ohne Betäubung durchgeführt werden, weil der kurze Schmerz einen heilsamen Effekt hat, besonders, wenn er mit Gedanken an Strafe in Verbindung gebracht wird. Bei Mädchen, so hat der Autor herausgefunden, ist die Behandlung der Klitoris mit unverdünnter Karbolsäure (Phenol) hervorragend geeignet, die unnatürliche Erregung zu mindern.“

John Harvey Kellogg, M.D., Treatment for Self-Abuse and its Effects, Plain Facts for Old and Young, Iowa: F. Segner & Co. (1888), Seite 295

Die einen reden von den 10 Geboten, die anderen sagen: Moses habe auf dem Berg Sinai, von G’tt, 613 Gebote (Mitzwe) erhalten, doch ein Gebot war nicht unter diesen, jenes Gebot fand erst tausende Jahre später die Jüdin Alice Miller aus Lemberg an den Ufern des Limmat. Alices Gebot lauetete, „du sollst nicht merken“.  Früh verinnerlicht und im Unbewussten wirksam, niemals beim Namen genannt – „du tust in Wahrheit das selbst, was dir in der Kindheit angetan wurde.“ Das obige Zitat, vor dem Hintergrund des alicischen Gebots refelektiert, wirft ein düsteres Bild auf die Jugendtage des kleinen John Harvey.

„[…] wohin ich schaue, sehe ich das Gebot, die Eltern zu respektieren, nirgends aber ein Gebot, das Respekt für das Kind verlangt.“ / Am Anfang war Erziehung

Denn jedes Kind lernt durch Nachahmung. Sein Körper lernt nicht das, was wir ihm mit Worten beibringen wollten, sondern das, was dieser Körper erfahren hat. Daher lernt ein geschlagenes, verletztes Kind zu schlagen und zu verletzen, während das beschützte und respektierte Kind lernt, Schwächere zu respektieren und zu beschützen. Weil es nur diese Erfahrung kennt.“ (…) „Wie wir wissen, eignet sich fast jedes Gedankengut dazu, den in der Kindheit mißhandelten Menschen als Marionette für die jeweiligen persönlichen Interessen der Machthaber zu gebrauchen. Auch wenn der wahre ausbeuterische Charakter der verehrten und geliebten Führer nach deren Entmachtung oder Tod zu Tage tritt, ändert das kaum etwas an der Bewunderung und bedingungslosen Treue ihrer Anhänger. Weil er den ersehnten guten Vater verkörpert, den man nie hatte.“  / Dein gerettetes Leben  von Alice Miller

15.10.2012 via FAZ
Faktencheck:
Leser recherchieren mit
Beschneidungsethik – erlaubte Körperverletzung?

Wo nun die Beschneidung bei Jungen auch ohne medizinische Indikation bald erlaubt oder zumindest straffrei sein wird: Können Ärzte diese überhaupt durchführen? (full text)

Brit Mila V

Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit

Hier mein Beitrag iSienceBlogs zur Diskussion zu einem Artikel von Christian Reinboth, Was dürfen Ärzte?, vom 31.08.2012,mit über 580 Kommentaren.
Mehr zur aktuellen Diskussion in den beiden Leitmedien FAZ & SZ

Worum geht es eigentlich bei diesem Diskurs? 

1. Es sollte jedem vernünftigen Menschen klar sein, dass neu  geborene Knaben nicht aus hygenischen Gründen beschnitten werden müssen, damit ihre zukünftigen Sexualpartner gesund bleiben.

2. Die Zirkumzision hat für das Judentum und den Islam eine konstituierende Relevanz, wie für die Katholiken die Taufe von Neugeborenen.

3. Es gibt keine Auschwitz-Keule! Das was in Auschwitz und Treblinka passiert ist, ist so ungeheuerlich, das wir Nachgeborenen, mit Demut den Blick zurück wagen sollten. Die Nachgeborenen der Überlebenden haben alles Recht immer wieder daran zu erinnern-, wer wen nicht sie, hätte sonst das Recht dazu?

Wer Auschwitz als Kind überlebte und zusehen musste, wie die eigenen Eltern brutal ermordet wurden, ist in einer Weise traumatisiert, wie wir es uns nicht vorstellen können. Und allein deshalb, weil die Eltern einem Volk angehörten, dem die Nazis im Besonderen den Krieg erklärten. Ein Trauma das Bände füllt und manch einer nicht überlebte und manch einer sich deshalb aus dem dritten Stock in den Tod stürzte -, wie Primo Levi, in stillem Gedenken.

Und hier komme ich zu dem Punkt, der mir bei dieser Diskussion zu kurz kommt. Die Traumafrage: ICH stimme als Therapeut und Arzt uneingeschränkt dem Grundsatz, primum nihil nocere zu. D.h. für mich ist selbstverständlich, dass jedes Kind, in jedem Alter ein Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit hat und das wir Erwachsenen dies vorrangig zu schützen haben.

Babys und Knaben die Vorhaut ohne Betäubung zu beschneiden traumatisiert und das Ritual hinterlässt Spuren im unterbewussten Erleben des Menschen. Dies wussten auch die Vorväter vor uns und deshalb betteten sie das ganze Ereignis in einen festlichen Kontext ein, um die Folgen abzufedern,  denn auch ihnen war klar: „wir machen nicht Erfahrungen, sondern Erfahrungen machen uns.“ Es ist völlig legitim, diese Erfahrung mit einem fulminanten Fest zu überhöhen, wir wissen, dass das Menschen hilft, im Positiven die schmerzhaften Erfahrung zu verarbeiten. Wir können sagen, die Inszenierung der Festlichkeit ist eine Form der Wiedergutmachung, gegenüber dem neuen Mitglied der Gemeinschaft, ob man dies nun nach vollziehen kann, will und gut findet oder nicht.

Die Zirkumzision, wie ich es verstehe, ist im Judentum eine Überlebensstrategie. Sie ist die notwendige Antwort auf eine Bedrohung. Sie wird als konstituierend beschrieben, sie besiegelt die Zugehörigkeit des Neugeborenen zu seinem Volk, wie auch immer der Hintergrund der Bedrohung erlebt wird. Moses Frau Zippora retten ihren Sohn, weil sie die Beschneidung nachholt, wo der  Vater – Moses – sich selbst vor der Verantwortung gedrückt hat dies zu tun. Nachzulesen in Exodus 4,25.

Ich möchte mit meinem heutigen Beitrag den Blick auf diese Strategie schärfen, denn ich denke, dem Dialog, den wir hier exemplarisch führen, fehlt die nötige Gelassenheit. Wir sind behaftet und in diesem Zustand ist es schwierig zu zuhören, was mein Gegenüber wirklich meint. Keiner im Islam oder Judentum will das Wohl der Kinder verletzen. Das suggerierte Unterwerfungsritual ist bei weitem nicht von solch einer Brutalität gezeichnet, wie es mit den Worten von Verstümmelung und Amputation unterstellt wird.

Ich will auch nicht die reale Belastung der Kinder, mit dem Einen und dem Anderen Erlebnis vergleichen. Mein Vergleich bezieht sich auf den Kontext, in dem sich das Eine ereignet und wie es eingebettet wird. Das was die Kinder in Auschwitz erlebten bleibt unvergleichlich, ihre Ohnmacht, als sie zusehen mussten, wie ihre Eltern unterworfen wurden, bleibt eine Mahnung – unauslöschlich in die Menschheitsgeschichte eingebrannt. Die Infragestellung der Praxis der Beschneidung wird von jüdischer Seite als ein Menetekel verstanden und so ist auch die Aufregung in den jüdischen Gemeinden verständlich.

Rembrandt H.v.Rijn Belsazar National Gallery London
Rembrandt H.v.Rijn Belsazar National Gallery London

Die Überlebenden dieser Generation tragen dieses Trauma der Unterwerfung ihres Volkes in ihren Herzen. Ihnen deshalb mangelnde Empathie zu unterstellen ist ein al zu einfacher Versuch die Stagnation in der Diskussion zu erklären. Wem das konstituierende Moment dieses Rituals fremd und unverständlich ist, wird auch das Trauma welches dieses begründet nicht verstehen. Wem der Schmerz des Säuglings fremd und unverständlich ist, wird auch das Trauma der Kinder nicht verstehen, die mit ihren Schmerzen allein gelassen werden. Nochmals: „wir machen keine Erfahrungen, Erfahrungen machen uns!“

Es ist meiner Ansicht nach auch unerheblich, wie alt dieses Ritual ist, ob es nun seit 4000 Jahren oder seit 1200 Jahren praktiziert wird. Es ist eine Antwort der Gemeinschaft auf ein Bedrohungsszenarium und soll die Reihen innerhalb des Volkes stärken. Mit Auschwitz hat das europäische und insbesondere das deutsche Judentum in dieser Hinsicht zu Recht die Gelassenheit verloren. Die Bedrohung des Judentums in Deutschland war real und ist auch nach 1945 weiterhin ganz real, es wurden Juden auf offener Straße diffamiert und sogar erschossen.

Die Deutsche Zivilgesellschaft hat nach 1945 die Aufarbeitung der Schreckensherrschaft nur zögerlich begonnen. Der Film die Shoa von Claude Lanzmann, hat eine breite Diskussion eröffnet. Sicher im Vergleich mit Japan hat die Zivilgesellschaft der Bundesrepublik geradezu offensiv die eigene Verantwortung für den europäischen Teil des zweiten Weltkriegs diskutiert und erforscht. Doch die Art, wie insbesondere in der Adenauerära mit dem Erbe des Nationalsozialismus umgegangen wurde, hat die Wunden nicht kleiner, sondern die Skepsis und Bedenken eher größer werden lassen.

Doch das aus meiner Sicht Entscheidende, wird weiterhin klein geredet. Es ist die Dimension des Schadens, den die Naziherrschaft, durch die nahezu vollständige Vernichtung der deutsch-jüdischen Kultur bewirkte. Die aufklärerische und insbesondere intellektuelle Gelassenheit des deutschen Judentums ausgehend von Moses Mendelsohn, Martin Buber, Franz Rosenzweig bis hin zu Viktor Frankel ist zerstört. Sigmund Freud konnte ganz gelassen darauf verzichten seine Söhne zu beschneiden, ohne das er deshalb des Verrates an seinem Judentum bezichtigt wurde. Diese verlorene Gelassenheit können die intellektuellen Beiträge von Micha Brumlik oder Michael Wolffsohn initiieren, bleiben aber vor dem Hintergrund der Geschichte eine Ausnahme.

Ich wünsche mir die Renaissance der Gelassenheit, auf beiden Seiten. Sicher sollen wir nicht Neugeborene mit unnötigen Schmerzerfahrungen belästigen, andererseits dürfen wir nicht das Trauma, in Folge der totale Vernichtung des deutschen Judentums in den Öfen von Auschwitz und Treblinka, und die davon ausgehende Bedrohung des Judentums in Deutschland ignorieren. Die Bedrohung war und ist real-, und die Beschneidung von Knaben, wie immer man dazu steht, eine Überlebensstrategie für das jüdische Volk. Die aktuelle Diskussion kann fruchtbar sein, der echte Dialog im Sinne Bubers Neues erbringen – insofern bin ich sehr optimistisch – so kann einer Kultur der Brit shalom statt einer Brit mila bereitet werden – in aller Achtsamkeit und in allem Gleichmut.

Brit Mila ersetzt die Taufe

Ersetzt die Beschneidung die Taufe?
Die Tauf ist ein jüdischer Brauch

<br />„Die Opferung Isaaks“ von Matthias Stomer um 1600 - nach 1650: Der Urgedanke des Menschenopfers liegt auch der Beschneidung zugrunde: Sie ist der Ersatz für das „Ganzkörperopfer“<br />
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„Die Opferung Isaaks“ von Matthias Stomer um 1600 – nach 1650: Der Urgedanke des Menschenopfers liegt auch der Beschneidung zugrunde: Sie ist der Ersatz für das „Ganzkörperopfer“

Nicht die Beschneidung macht den Juden, ist ein lesenswerter Essay von Michael Wolffsohn, der in der letzten Woche in der Welt erschienen ist. Er plädiert am Ende seines Aufsatz für eine Versachlichung der Debatte. Der Essay führt weiter und ist nicht redundant. Wer mehr über Wolffsohn erfahren will, über seine Arbeiten und Veröffentlichungen sollte sich mit seiner Vita beschäftigen.

Ich zitiere einen Ausschnitt seines Essays, der zum Nachdenken anregt. Einleitend schreibt er:

Die Bibel verrät an mehreren Stellen, dass Beschneidung der Knaben von jeher umstritten war. Vermutlich wurde der Brauch sogar eine Zeitlang durch das Ritual der Taufe ersetzt.

(…) „Ihr sollt die Vorhaut eures Herzens beschneiden und nicht länger halsstarrig sein“, heißt es in Deuteronomium 10, 16. Die Botschaft ist eindeutig: Die Beschneidung – als Gebot, nicht als Ritual – ist rein symbolisch, nicht körperlich zu verstehen. Die Bestätigung folgt bei Jeremias 4, 4: „Beschneidet euch für den Herrn und entfernt die Vorhaut eures Herzens.“

Womit wir zu der für die meisten wohl unerwarteten Brücke vom Jüdischen zum Christlichen Testament gelangen, zu Paulus (Römer 2,25): „Die Beschneidung ist nützlich, wenn du das Gesetz befolgst; übertrittst du jedoch das Gesetz, so bist du trotz deiner Beschneidung zum Unbeschnittenen geworden.“ Sollte nicht auch diese paulinische Variante von Juden bedacht werden? Beschneidung sei „was am Herzen durch den Geist, nicht durch den Buchstaben geschieht.“

Nicht die Beschneidung macht den Juden. Der jüdische Pharisäer Paulus mahnt (1 Kor 7, 19): „Es kommt nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, die Gebote Gottes zu halten.“ Das war nicht nur paulinische Mission, sondern im ersten Jahrhundert nach Christus rabbinisch talmudische Diskussion um die Circumcision.

Ihren Ausgang kennen wir. Beschneidung? Ja! Doch die Rabbinen waren gespalten. In einer kommentierenden Erzählung lassen sie Gott und Abraham über das Pro und Contra diskutieren. Historisch einwandfrei belegt ist zudem, dass Juden außerhalb Judäas bis ins zweite nachchristliche Jahrhundert von Konvertiten keine Beschneidung verlangten. Sie wurden – getauft.

Die Wissenschaft streitet darüber, ob die Taufe die Beschneidung ersetzte – was anzunehmen ist. Die Taufe ist kein urchristlicher, sondern ein älterer, auch jüdischer Brauch. Man bedenke, dass Johannes der Täufer Jude war und den Juden Jesus im Jordan taufte. Erst das von Kaiser Hadrian um 130 n. Chr. verhängte Beschneidungsverbot verwandelte das innerjüdisch nicht unumstrittene Beschneidungsbrauchtum in ein scheinbar unumstößliches Gesetz.

Wolffsohn endet seinen Essay mit folgendem Wunsch:

Ja, so viel Judentum steckt im Christentum und so viel Christentum im Judentum. Vielleicht hilft diese Einsicht zu einer Versachlichung der Diskussion sowie zu jüdischer und christlicher Selbstkenntnis, Selbstbesinnung, Selbstbestimmung.

Brit Mila & die FAZ

Die FAZ & Jacobs Beschneidung

Montagmorgen, der 3.September und die FAZ hat erneut das Thema der religiösen Beschneidung auf die Agenda gesetzt. Die Journalistin FRIEDERIKE HAUPT nimmt sich das Auftreten von Herrn Dr. med Latasch im Ethikrat vor und dokumentiert seine Argumentation und seinen Versuch der Aufklärung, über eine religiöse Praxis, die seiner Ansicht nach, unauflöslich mit dem Judentum verbunden ist. Bis zum frühen Abend, des 4. September haben sich 350 Lesermeinungen dazu angesammelt und sind ein Beleg für die lebendige und kontroverse Diskussion der FAZ Leser.

Brit Mila 2000 Jahren, Kirchenfenster im Kölner Dom via Carmen Treulieb/FfM

Der Artikel beginnt mit:

„Ein Video zeigt, wie ein winziger Junge beschnitten wird. In einem anderen Film ist zu sehen, wie einem kleinen Mädchen Ohrlöcher geschossen werden. Beide Videos zeigte der Arzt Latasch auf einer Sitzung des Ethikrates. Die Reaktionen waren unerwartet.“ [„The Circumcision of Jacob Chai“ (uncut cut version)]

Die Argumente zum Thema sind ausgetauscht, die Ursache der Kontroverse das Urteil des Landgerichts Köln, in dem ein Arzt angezeigt worden ist, nach dem ein kleiner Junge, den er beschnitten hatte, mit heftigen Nachblutungen in eine Kölner Klinik eingeliefert wurde.

Jetzt möchte man meinen das Thema hätte inzwischen an Relevanz verloren und würde niemanden mehr hinterm Sofa herholen, insbesondere auch, weil die öffentlich rechtlichen Medienanstalten und die Mehrheit der deutschen Medien das Thema ignorieren. Doch das ist nicht so, mit erstaunen stelle ich im Laufe des Vormittags bzw. des weiteren Tagesverlaufs fest, mit welchem Engagement die Leser der FAZ den Artikel kommentieren. In weniger als 3 Stunden hatten 63 Leser Kommentare hinterlassen, tagsüber sammelten sich bis um 16 Uhr/16o, um 17 Uhr/ 200 und am frühen Abend 230 Lesermeinung an, wo man doch meinen würde die Mehrheit der Leser der FAZ sind viel beschäftigte Business Leute, die kaum Zeit haben zwischen durch Leserkommentare zu verfassen. Ich zitiere eine Lesermeinung, weil sie meiner Ansicht nach das Problem benennt und in den Mentions durch die Leser dementsprechend hoch bewertet wird.

Der Leser HORST DELMEN (DR.DELMEN) schreibt 08:37 Uhr folgenden Kommentar:

An diesem Beispiel wird das Problem deutlich

Der vortragende Arzt wollte mit dem Video zeigen, dass Beschneidung harmlos ist. Gezeigt hat er hingegen, wie sehr ihn seine religiös geprägte Wahrnehmung von Mitgefühl abgeschnitten hat. Ich bin sicher, er sieht wirklich nicht, was da geschieht.

Festgehalten werden damit andere einem weh tun können ist eine der schlimmsten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann – noch schlimmer für ein Baby oder ein Kleinkind, dass in keinster Weise begreifen kann, was da geschieht.

Mir ist sehr wichtig, dass mein Kommentar nicht als antireligiös verstanden wird. Ich kritisiere die Beschneidung Minderjähriger nicht, weil sie eine religiöse Praxis ist. Ich lehne sie grundsätzlich ab – egal aus welchem Grund.

(…)  Wenn es darum geht, Leid zu vermeiden ist Empathie zur Entscheidungsfindung wichtig – dafür braucht es Emotion! Schon mal was von Spiegelneuronen gehört? Die machen Mitgefühl erst möglich. Wenn es um Schmerzen und psychische Verletzung geht dürfen Emotionen nicht außen vor bleiben.

Ich empfehle über den Artikel hinaus, eben auch die vielen klugen Lesermeinung durchzulesen.

Kommunikationsforscher werden diesen Hyp von Lesermeinungen schon mit einem Fachausdruck bedienen. Ich nenne es einen regelrechten Sturm von Lesermeinungen, der sich da in kürzester Zeit aufgebaut hat.

Das Thema ist hot und seine Karriere hat wohl auch noch nicht den Zenit erreicht. Die Leser der FAZ sind angetriggert, während andere Medien das Thema ignorieren. Ich staune.

Ja, Aufklärung tut not und Dr. Latasch hat gut angefangen, aber ihm ergeht es, wie den Generälen im zweiten Weltkrieg, wie Dwight D. Eisenhower suffisant meinte: „nach dem ersten Schuss, wird jeder Plan des Generalstabs Makulatur, weil er vom Geschehen auf dem Feld, Mann gegen Mann eingeholt wird.“

Latasch wollte aufklären und hat aufgeklärt. Jetzt weiß, wer es nicht wusste, wie die Beschneidung vollzogen wird und das Publikum ist nicht beruhigt. Die Mehrheit des Publikums versagt dem Aufklärer den Applaus. Auch Religionen unterliegen den Prozessen der Veränderung u. werden sich über kurz oder lang, diesen Wandlungen gegenüber anpassen müssen, es sei denn sie schotten sich ab.

Um eine Diskussion innerhalb der Religionsgemeinschaften, über das Selbstbestimmungsrecht von Kindern, werden weder die christlichen Kirchen, noch die anderen beiden abrahamitischen Religionen,um hin kommen.

Der Artikel der FAZ ist ein Beitrag zur Aufklärung, insbesondere auch weil er nicht darauf verzichtet, auf die entsprechenden Links hinzuweisen, mit denen der Arzt Latasch sein Plädoyer für die Beschneidung visuell untermauert.

Ethikrat vs. Ärzteverband

Bild

Die Empfehlung des deutschen Ethikrats zur religiösen Zirkumzision, steht im Gegensatz zu den Stellungnahmen internationaler Ethikkommissionen der Ärzteverbände in Norwegen, Schweden und den Niederlanden. Ein Vergleich lohnt sich: Die Ethikkommissionen des norwegischen und des niederländischen Ärzteverbandes, sowie der Verband der schwedischen Kinderärzte halten die Beschneidung jenseits einer medizinischen Indikation für unethisch und sprechen sich deshalb für ein Verbot des Eingriffs auf dieser Basis aus.

Bei diesen Kommissionen handelte es sich jeweils um Ethikarbeitskreise der Ärzteverbände der jeweiligen Länder. Beim Deutschen Ethikrat sitzen Experten, die wohl aus theologischer, philosophischer und juristischer Sicht die Fragen beantworten, aber eben nicht aus unabhängiger, fachärztlicher Perspektive. Nötig wären neben Theologen und Juristen Fachärzte, die insbesondere aus pädiatrischer und im speziellen, aus kinderurologischer Sicht, die Fragen zur frühen Zirkumzision bei Babys und Kleinkindern diskutieren. Die Komplikationen werden verharmlost oder gar in Abrede gestellt, obwohl der konkrete Fall aus Köln, wegen solcher Komplikationen, den Stein ins Rollen gebracht hat. Es fehlt die Stimme des Epidemiologen und es fehlen Studien, die die Praxis beleuchten, die Risiken benennt und jenseits der religiösen Tradition minimal invasive Techniken beschreibt.

Autoren, wie GREGORY J. BOYLE von der Bond University, Australia;  RONALD GOLDMAN  aus Boston, USA Circumcision Resource CenterJ. STEVEN SVOBODA aus Berkeley, USA Attorneys for the Rights of the Child und EPHREM FERNANDEZ aus Dallas Southern Methodist University, Dallas, haben sich mit den psychosexuellen Spätfolgen der Zirkumzision beschäftig, das war aber kein Thema im Ethikrat. 

Die Britische Gesellschaft für Kinderchirurgie schreibt:

Die Komplikationen umfassen Blutungen, lokale Sepsis, meatale Verkrustungen oder Meatusstenosen, Entfernung von zu viel oder zu wenig Haut, Harnröhrenverletzungen, Amputationen der Eichel und Inklusionszysten. 
Griffiths et al. berichten in ihrer prospektiven Untersuchung der Krankenhausbeschneidungen folgende Komplikationen: Nässende Wunden 36%, Unbehagen >7 Tage 26%, Infektionen, die Antibiotika erforderten 8.5% und Blutungen 1.5%. http://www.baps.org.uk/documents/Circumcision_2007

Der deutsche Ethikrat sprach ausgiebig über die Frage der Betäubung, ohne jedoch dazu einen Spezialisten der Anästhesie zu rate zu ziehen. Wie schwierig und auch riskant insbesondere die Anästhesie bei Säuglingen ist, wurde in diesem Zusammenhang nicht ausführlich diskutiert. Die Vollnarkose stellt ein hohes Risiko für den Neugeborenen dar und die Möglichkeiten der örtlichen Betäubung werden von Kinderärzten als überwiegend ineffektiv beschrieben.

Professor Tom de Jong, Kinderurologe, am UMC, Wilhelmina Kinderziekenhuiz in Utrecht äußert sich wie folgt:

Zelfs de verdoving mislukt vaak. „Het verdoven van een kinderpenis is erg moeilijk. Als ik het bij tien kinderen probeer, gaat het één of twee keer mis. Veel jongetjes krijsen dan ook als speenvarkens als ze worden besneden.

Selbst die Narkose gelingt oft nicht. „Die Betäubung eines Kinderpenis ist sehr schwierig. Wenn ich beispielsweise bei zehn Kinder probiere [eine Betäubung zu verabreichen],geht das bei einen oder zwei Kindern schief. Viele Jungen schreien dann auch immer wie Spanferkel, wenn sie beschnitten werden“

Quelle: Sander Becker: De besnijdenis: Grote gevolgen van een kleine ingreep. Trouw. 30.09. 2011

Die Funktion der Vorhaut aus der Sicht des Anatomen und Urologen:

Die menschliche Vorhaut ist in ihrem Aufbau einzigartig. Sie weist fünf Gewebsschichten mit einer ausgesprochen hohen Dichte an Nervenzellen auf und hat eine spezielle Funktion im Fortpflanzungsprozess.

…Die Vorhaut ermöglicht einen speziellen Gleitmechanismus im Rahmen des Geschlechtsverkehrs. Bei einer Zirkumzision werden 30–50% der Penishaut entfernt. Dadurch kommt es bei der Erektion zu einer Spannung der Penishaut und bei vaginaler Penetration zu einer erhöhten Reibung an der Scheidenwand. Dies kann, wie Untersuchungen zeigen, zu unangenehmen Sensationen bei beiden Sexualpartnern führen.

Bei beschnittenen Männern kommt es zu einer verstärkten Keratinisierung der Glans und dadurch mitunter zu einer verminderten Sensibilität, welche wiederum Einfluss auf die geübten Sexualpraktiken haben kann. Ein Plädoyer für die Vorhaut

Der Ethikrat verpasste die Chance, im Ergebnis offen miteinander über das, wie und was des Eingriffs zu diskutieren, geschweige denn über Alternativen als solche. Die Funktion der Vorhaut im allgemeinen und im speziellen kam auch nicht zur Sprache. So wurde auch kein unabhängiger Anatom dazu befragt. Die theologisch festgelegten Mediziner (Interessensvertreter der jeweiligen Religionen) erklärten sich selbst zu Experten zu all diesen Aspekten und reklamierten für sich die Deutungshoheit über alle Fragen zur Zirkumzision. Allein der Strafrechtler aus Hamburg, war frei von theologischen Festlegungen und wies auf die verfassungs- und strafrechtlichen Fragen hin.

Ausgiebig wurde im Ethikrat über den existenziellen Wert der Beschneidung für die beiden Religion geredet. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte hat zu recht, die Empfehlung des deutschen Ethikrats scharf kritisiert. (Presseerklärungen: BVKJ & DAKJ)

Die betroffenen Ministerien, der Rechtsausschuss und der Bundestag selbst werden sich nicht allein auf die Empfehlung des Ethikrates verlassen dürfen. Es braucht eine ausführliche parlamentarische Diskussion und auch eine öffentliche Anhörung von Experten unterschiedlicher Fachrichtungen. Die Diskussion darf nicht den Theologen und Juristen überlassen werden.

Brit Mila IV: Deutscher Ethikrat

Der Ethikrat empfiehlt die Legalisierung der religiösen Beschneidung von Jungen

Am heutigen Donnerstag hat sich in Berlin die Mehrheit im Ethikrat für eine Sonderreglung und damit faktisch für die Einschränkung des Gebots der körperlichen Unversehrtheit von Minderjährigen ausgesprochen. Unter Auflagen soll diese Form der Körperverletzung straffrei bleiben.

Grundlage der Diskussion des Ethikrates waren Vorträge der Mitglieder Leo Latasch, Ilhan Ilkilic, Reinhard Merkel, Wolfram Höfling und Peter Dabrock zu medizinischen, religiös-kulturellen, straf- und verfassungsrechtlichen sowie ethischen Aspekten der Beschneidung.

Ungeachtet tiefgreifender Differenzen in grundlegenden Fragen empfiehlt der Ethikrat einmütig, rechtliche Standards für eine Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen zu etablieren und dabei folgende Mindestanforderungen umzusetzen:

1.         umfassende Aufklärung und Einwilligung der Sorgeberechtigten
2.         qualifizierte Schmerzbehandlung
3.         fachgerechte Durchführung des Eingriffs sowie
4.         Anerkennung eines entwicklungsabhängigen Vetorechts des betroffenen Jungen.

Darüber hinaus fordert der Ethikrat die Entwicklung und Evaluation von fachlichen Standards für die Durchführung der Beschneidung unter Mitwirkung der Betroffenen und der beteiligten Gruppen.

Die einzelnen Vorträge und die Diskussion können unter http://www.ethikrat.org/sitzungen/2012/plenarsitzung-am-23.-august-2012/nachverfolgt werden.

Die Zirkumzision von minderjährigen Jungen soll mit einer Ja-Aber-Regelung gesetzlich geregelt werden. Vier Fragen:

  1. Mit welchem Instrument soll die Einhaltung der Regelung überwacht werden?
  2. Mit Selbst- oder Fremdkontrolle?
  3. Wird dann jede Zirkumzision protokolliert und zentral dokumentiert?
  4. Wird es eine Beratungspflicht geben, mit einem   Beratungsnachweis?

Jetzt wird tatsächlich wieder an ein Sondergesetz, für Juden und Moslems, gedacht. Shame on you! Die bestehenden § im BGB und StGb sind ausreichend und regeln dies ganz klar. Die Mündigkeit und Einwilligung der Betroffenen darf nicht relativiert werden. Den Tatbestand der Körperverletzung wegen religiösen Brauchtums zu relativieren, öffnet Tür und Tor für weitere Einschränkungen, aufgrund religiöser Vorschriften. Die Zeugen Jehovas werden hier nach, ihre Haltung zur Bluttransfusion rechtfertigen. Vielleicht nutzen andere Religionen dann dieses Gesetz, um ihr „Branding“ eben so irreversibel von statten gehen zulassen! Wer will das ausschließen? Der Zweck heiligt ja bekanntlich die Mittel!

Zudem lassen alle Äußerungen aus den betroffenen Religionsgemeinschaften darauf schließen, dass sich dort niemand aus der Führungseben der weltlichen Justiz unterordnen will. Sie werden es weiterhin so machen, wie sie es immer schon praktizierten, „wir machen das seit 4000 Jahren und wir werden es auch die nächsten 4000 Jahre so tun.“

Das diese Haltung ein eklatanter Verstoß gegen unsere Rechtsordnung ist, traut sich niemand aus dem politischen Establishment zu erwidern. Was wird sein, wenn ein Erwachsener beschnittener Junge, rückwirkend gegen seine Beschneidung Widerspruch einlegt, darf er dann seine Eltern auf Schadensersatz verklagen? So können wir nur wieder auf das BVG resp. dem EGH hoffen, dass der entspr. Senat diesem unseligen Geschacher ein Ende macht und die Religionsgemeinschaften, mit einem klaren Votum, in ihre Schranken weist.

SchnipselKrant: SpiegelOnline Bericht (hier); TAZ „Ohnmacht im Diskussionssaal„; Deutsches Ärzteblatt (hier)

Brit Mila III

Pro & Contra:
Brit Mila vs. Menschenrechtsfundamentalismus

    Viele junge Eltern sehen sich nach einer kinderärztlichen „Routineuntersuchung“ ihres Sohnes mit dem Vorschlag einer Beschneidung (Zirkumzision) ihres Sprösslings konfrontiert. Was hat es nun mit der Beschneidung auf sich? Welche religiösen und medizinischen Gründe gibt es? Was sind die Risiken und Chancen des Eingriffs? Antworten finde sich unter folgenden Links (hier) und wer sich an einer Petition beteiligen will (hier). Stellungnahme im Deutschen Ärzteblatt, vom 17.Aug.d.J., mit einem Verweis auf das Model in Schweden, Diskussion über religiöse Beschneidung. Berlin, den 21.Aug.d.J., die Stellungnahme des Oberrabbiners von Israel Yona Metzger, Bericht im Deutsches Ärzteblatt – „Medizinische Grundausbildung für  Beschneider, vom selben Tag.

    In der Presse wird vorrangig die weibliche Beschneidung diskutiert, die der Jungen wird merkwürdigerweise wie G’tt gewollt unkritisch hingenommen. Die „Beschneidung“ von Jungen ist der am häufigsten durchgeführte chirurgische Eingriff der Welt. Die Entfernung der Vorhaut ist ein nachhaltiger Eingriff, der das Aussehen und die Funktion des männlichen Geschlechtsorgans irreversibel verändert.

    Für das Judentum ist die Beschneidung am 8 Tag und für die deutsche Zivilgesellschaft nach 1945 das Grundgesetz identitätsstiftend. Ein Gesetz soll es jetzt regeln, was doch die Verfassung längsten geregelt hat. Mitnichten sind jene die Komiker, die die Unversehrtheit von minderjährigen höher schätzen als das Elternrecht und die Religionsfreiheit. Die Kanzlerin betreibt Populismus und die Diskussion hat in ihrer Polemik, Stichwort „Menschenrechtsfundamentalismus“ (FR Leitartikel Beschneidung& Holocaust, von Christian Bommarius) schon längsten das Wohl des Kindes nicht mehr im Fokus, es werden alte Rechnungen aufgemacht und alte Reflexe benient. Wir brauchen keine Sondergesetze für Moslems und Juden, unsere Verfassung reicht dafür aus und bietet allen Schutz und alle Freiheit.

     Das Landgericht Köln hatte weder das Judentum, seine Bräuche und auch nicht den Islam zum Thema gemacht, denn das Gericht hatte auch nicht die Absicht, über das Brauchtum beider Religionen zu urteilen. Das Landgericht Köln beurteilte vielmehr die ganz individuelle Situation eines minderjährigen, muslimischen Jungens, der nach seiner Beschneidung, durch einen Mediziner, aufgrund des Elternwillens, mit schwerwiegenden Nachblutungen um sein Leben fürchten musste. So waren zwei Operation nötig, um die Blutungen zu stillen, dabei hat die Mutter fast ihren Verstand verloren.

    Wer meint, dass das Urteil in einer Linie mit den politisch motivierten Pogromen vor 1945 steht, irrt. Er weigert sich zu differenzieren, denn der Unterschied ist entscheidend und stellt in der Tat für beide Religionen einen notwendigen Paradigmenwechsel dar, gegen den sich insbesondere die Traditionalisten beider Seiten nachvollziehbar wehren. Die Persistenz der handelnde Kräfte wird über Verstand und die Vernunft hinaus entscheiden, sowie aufzeigen, welche der beiden Seiten, die ausreichende Resilienz besitzt, mit der  notwendigen gesellschaftlichen Veränderung zu recht zu kommen.

Mehr von meine Kommentaren zum Thema gibt es auf der Seite der FAZ .(hier). Ein Video auf YouTube veranschaulicht den medizinischen Eingriff: the most sensitive part.

Brit Mila II

 
 Foto DPAP

Brit Mila

Auf den Spuren von Abraham. Der Mohel arbeitet ernst und routiniert: Das „Baruch ha-ba“ („Gesegnet, der da kommt!“) ist gesprochen und G’tt, der die Beschneidung befohlen habe, gelobt. Nun nimmt der Mohel den Kamm, trennt die Vorhaut von der Eichel und schiebt den Magen (das Schutzschild) dazwischen, um die Eichel vor Verletzungen zu schützen. Dann nimmt er das Skalpell. Ein geübter Schnitt, schon ist es vorbei und das Kind „in den Bund eingeführt“. Der 8 Tage alte Säugling schreit. Das Weinen ist schnell zu Ende, nachdem der Mohel ihm ein Läppchen mit Zuckerwasser (oder mit Rotwein und Honig) an den Mund gehalten hat.

Mein Sohn ist nicht nur seines Vaters Sohn, wie ich nicht nur meines Vaters Sohn war. Wir sind die Söhne eines Volkes“, Leon Wieseltier 2009

  • Mein Sohn ist nicht nur seines Vaters Sohn, wie ich nicht nur meines Vaters Sohn war. Wir sind die Söhne eines Volkes“, schrieb Leon Wieseltier 2009Die jüdische Publizistin Hanna Rheinz nennt es ein Dilemma: „Die Zirkumzision ist im Grunde nicht mehr zeitgemäß, aber ein Grundpfeiler ihrer Religion, den auch sie nicht abschaffen wolle.“
  •  Lesenswerte Artikel: So des Arztes und Journalisten Gil Yaron in der FAZ vom 21.07.2012 Unsere seltsame Tradition;
  • ein Artikel von Catherine Bennett im Gurdian vom 22.07.2012  Circumcision is an affront to decent human bahavior , mit über 1400 Kommentaren;
  • in der FAZ vom 23.07.2012 Auch die Seele leidet, über die medizinischen und psychologischen Spätfolgen;
  • ein Pro Artikel von Patrick Bahners in der FAZ vom 22.07.d.J. mit dem Titel Ein Rechenfehler

Brit Mila I

Brith Milah vs. Brith Shalom:
Ein alttestamentarisches Ritual in der Gegenwart

I.

Mit zwei kurzen und klar formulierten Artikeln beginnt unsere „Verfassung“.  So heißt es in Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Und in Artikel 2,2: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“

Was heißt das für die Religionen, denn diese Sätze sind nicht alttestamentarisch und gehören merkwürdigerweise nicht zu den Geboten die Moses auf dem Berg Sinai von G’tt diktiert bekam, aber vielleicht sind sie aber auch im Trubel so vieler Gebote (613 Mitzwot) von Moses einfach überhört worden. G’tt erkannte das und dann hat ER diese Gebote tausende von Jahren später, als Antwort auf Auschwitz & Treblinka, den Müttern und Vätern des GG zu geflüstert. Das war gut so.

Leider sind die drei monotheistischen Religionen keine leuchtenden Vorbilder in Sachen Anwalt für die Menschenrechte, sie mußten und müssen immer wieder mit aller Nachdrücklichkeit in ihre Schranken gewiesen werden. In der aktuellen Diskussion um das Urteil von Köln und seine Folgen, irritieren mich insbesondere die Positionen derer die ansonsten als vehemente Anwälte für die Einhaltung der Menschenrechte auftreten und sich gegen jede leichtfertige Relativierung dieser aussprechen, wie z.B. der wortgewaltige Michel Friedmann (Focus) aus Frankfurt, Volker Beck aus Köln oder Jurij Vogt (Jüdische Allgemeine) aus Freiburg. Das Landgericht in Köln belichtet eine Realität von kleinen Jungen, die wir nicht religiösen Ritualen überlassen dürfen.

Die körperliche Unversehrtheit eines Neugeborenen, darf nicht aufgrund von religiösen Ritualen irreversibel beschädigt werden. Die Beantwortung der Frage, ob ich meinen neugeborenen Sohn beschneiden lasse (einer nicht schmerzfreien Zirkumzision unterziehe), um damit seine Verbundenheit mit meinem Glauben und Gott zum Ausdruck zu bringen, hat mir klar gemacht, dass ich das mit meinem Selbstverständnis, über das Selbstbestimmungsrechts meines Sohnes, nicht vereinbaren kann. Mein Sohn wird dies für sich selbst entscheiden dürfen, so wie ich das für mich in Anspruch nehme. Das Urteil von Köln ist gut und ich begrüße es, denn es setzt notwendige Grenzen elterlicher Fürsorge, die auch Religionen zu achten haben.

II.

Die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts waren noch eine zu tiefst kinderfeindliche Welt. Kinderrechte waren ein Tabu, nicht nur innerhalb von Religionen, sondern auch in den Parteien der Weimarer Republik. Der Kinderarzt Janusz Korczak (eigentlich Henryk Goldszmit) lebte und arbeitet in Warschau, seine Schriften, wie das Buch Wie man ein Kind lieben soll (poln. Erstausgabe Jak kochać dziecko 1919)  und Das Recht des Kindes auf Achtung (poln. Erstausgabe Prawo dziecka do szacunku 1928) waren über Polen hinaus noch gänzlich unbekannt. Doch in Polen war er ein gefeierter Kinderbuchautor und seine Radiosendung überaus poplär, er machte sich einen großen Namen als Kinderarzt und Pädagoge. Er sah das Kind nicht mehr als Objekt erwachsener Fürsorge, sondern anerkannte seine Subjektstellung und vertrat jene Geisteshaltung, die erst in den 80iger und späten 90iger Jahren (Kindschaftsrechtsreform 1998) auch Eingang in die deutsche Rechtsprechung fand.

Im Nazideutschland waren Kinder Objekt für einen kalkulierten Feldzug für ein Menschenbild das insbesondere jüdisches Leben, jüdische Kultur in Deutschland und Europa vernichten wollte und unwiederbringlich zerstörte. Das Verbot der jüdischen Beschneidung war Mittel zum Zweck, eine Schikane gegen das Wirken und Leben innerhalb der jüdischen Gemeinden.

Doch heute ist die Argumentation eine gänzlich andere, denn es geht zentral um die Frage des Kindeswohl. Der Europäische Rat der Juden weißt das und die Argumentation, dass das Urteil von Köln die Existenz jüdischer Gemeinden bedrohe, wie damals die Administration Hitlers greift hier objektiv nicht. Es geht eben nicht um die Frage, ob jüdische Kultur in Deutschland neben anderen existieren kann.

Hier findet ein Perspektivenwechsel statt, die Objektstellung wird zu Gunsten der Subjektstellung im Recht verändert und somit sind eben auch Kinder nicht mehr bloß Objekt elterlicher Fürsorge, sondern eben auch mit unveräußerlichen, subjektiven Rechten ausgestattet, die die Eltern zu respektieren haben. In der Folge schränkt dies eben auch die Freiheit der religiösen Erziehung der Eltern ein.

Nochmals, es geht bei dieser Diskussion allein um die Stärkung das Selbstbestimmungsrecht des Kindes (Subjektstellung des Kindes im BGB) und die Grenzen elterlicher Fürsorge. Hitlers Administration zielte mit Ihrem Verbot der Brit Mila auf das Alltagsleben der deutschen Juden, das LG Köln entschied entlang der Kinderrechtskonvention der UN.

III.

Das Urteil des Landgerichts in Köln verknüpft das BGB mit der UN Kinderrechtskonventon und stellt die Reformfähigkeit religiöse Anschauungen auf den Prüfstand. Wir haben die blutigen Opferrituale, die noch im AT vorgeschrieben sind, auch schon lange überwunden und die Gemeinden leben! Wenn Rabbiner jetzt die Weiterexistenz der Gemeinde an diese Frage knüpfen, folgen sie einem Reflex und ignorieren einen Wandel unserer Rechtsauffassung, der nach Auschwitz und den Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg begonnen hat. Die UN Kinderrechtskonvention hat auch ihre Wurzeln im europäischen Judentum (Janusz Korczak). Der Perspektivenwechsels, der im Urteil von Köln zum Ausdruck kommt und die Bedürfnisse der Kinder in den Mittelpunkt rückt, trägt diesem Rechnung und ist nur folgerichtig.