Da heißt es nun: „wir sitzen alle in einem Boot, der Sturm der uns entgegen pfeift ist heftig, aber wir werden ihm trotzen“. Die drei „weisen aus dem Morgenland“ werden uns nicht die Suppe versalzen oder gar in Angst und Schrecken versetzen, dass wir aufhören mit spitzem Stift zu schreiben und auch noch die Tusche vertrocknen lassen, Sicher ist, es ist sehr viel mehr Spott nötig, um der aktuellen Situation gerecht zu werden. Was ist los in Europa?
Landesweit gehen drei Millionen Menschen auf die Straße – Vive La France, und aus den Häuserschluchten erklingt hundertfach die Marseillaise. Gut, nicht so ergreifend wie, wenn Edith Piaf sie singt, aber Gänsehaut feeling puur, ist garantiert. Auch wenn der Text mächtig blutig ist, aber vielleicht ist es genau das, was jetzt zählt, weil das, was in den Redaktionsräumen von Charlie Hebdo passiert, so blutig war, wie wir es uns nicht haben vorstellen können.
Ein Demonstrant in Paris trug ein Schild, mit folgendem Text: „je marche mais, je suis conscient de la confusion et de l’hypocrisie de la situation!“. Was hat er wohl damit gemeint? Dass da Juden und linke Journalisten hingerichtet wurden und jetzt die ganz Welt brüllt „je suis charlie“?
Es waren ja nun nicht gerade Journalisten des Establishments, die da beweint und denen die letzte Ehre (NIls Minkmar/ FAZ) erwiesen wurde und wegen einer Handvoll jüdischer Männer so viel Tamtam? Bitte, was soll das alles? – Worum geht es hier eigentlich?
Die 50 Staatsmänner/frauen stehen nicht für die Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Man könnte auch sagen, denen sind die Werte der französischen Revolution doch schon lange sch… egal. Nehmen wir nur den Angriff auf die Privatsphäre durch die Geheimdienste und der damit verbunden Verlust der Bürgerrechte. Charlie Hebdo hat in einem Haifischbecken der konservativen Medienwelt versucht zu überleben und dabei einen fast aussichtslosen Kampf geführt. Charlie Hebdo war nicht zögerlich und teilte gegen jeden aus, gegen die Heuchelei aller Ortens.
Jetzt wird die Schuldfrage diskutiert, folgt Analyse auf Analyse, um zu verstehen, was unverständlich bleiben wird, für all die, die mitempfinden und vom eigenen Selbst distanziert unterwegs sind. Die Frage der Fremdenfeindlichkeit wird diskutiert, ob wir genug tun, um die Migranten willkommen zu heißen, oder ob die Migranten genug tun, um sich zu assimilieren?
Der Berliner Migrantenforscher Ruud Koopmans wartet u.a.mit folgenden Zahlen auf, zum Thema Fremdenfeindlichkeit (Xenophobie) unter Muslimen: 45% von 9000 befragten Migranten sind judenfeindlich. Er kommt in seiner Studie zu dem Ergebnis: „Religiöser Fundamentalismus unter Muslimen ist in Westeuropa kein Randphänomen„. Andererseits bleibt es mir schleierhaft, wie so die überwiegende Mehrheit der Muslime den Terror des fanatischen Islamismus, denen mehr Muslime zum Opfer fallen, als Nicht.Muslime, so klaglos hin nehmen und sich nicht lauter und nachdrücklicher zur Wehr setzen.
Man fragt sich viel viel Kritik verträgt der Koran, von mir aus auch die Tora und die Bibel? Nicht viel, stelle ich fest. Die Bücher werden heroisiert, obwohl sie nur Gleichnisse enthalten, gelten sie als Gebrauchsanweisungen für ein durch aus hoch komplexes Leben in der heutigen Zeit. Alle drei Werke werden deutlich überschätzt. Bitte, würden wir die Smartphones bedienen wollen, nach eine Anleitung aus dem 19. Jahrhundert? Ganz bestimmt nicht! Es würde nicht funktionieren. Die Bücher sind alt und haben ihre Pflicht und Schuldigkeit getan, lasst sie was sie sind – alte Bücher, mit einem hohen literarischen Wert. Aber das war es dann auch.
Die Journalisten von Charlie Hebdo sind Märtyrer der Pressefreiheit, wie die Kriegsfotografinnen Anja Niedringhausen und Camille Lepage.
„JE SUIS CHARLIE“ markiert die Geburt eines Widerstandsgeistes, der unserer besten geschichtlichen Tradition würdig ist“, so der französische Philosoph Henry Lévy in der FAZ.
Ein schöner Gedanken und ich hoffe er behält mit seiner Annahme recht und wir werden in den kommenden Wochen und Monaten erleben, dass die Demonstrationen in Paris wirklich tiefere Spuren in unserer europäischen Zivilgesellschaft hinterlassen.
Die 12 Autoren von Charlie Hebdo waren nicht die Lieblinge des politischen Establishments, auch nicht hier in Deutschland. Für viele waren es trotzkistische Kommunisten, nicht liberal, echte antibürgerliche Nonkonformisten. Was sich da auf den Straßen zwischen Place de la Republique und den Place de la Nation versammelte, war eine bunte Melange, die oft genug nicht gut auf Journalisten an zu sprechen war. Es bleiben bei aller Analyse die Fragen: Wieso der Hass auf Juden und linke Journalisten? Wieso darf nicht gespottet und mit spitzem Stift geschrieben werden, wieso muss alles glatt gestrichen und gebügelt werden? Der öffentliche Diskurs ist unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit gestutzt worden, aber wie die Täter von Paris an Kriegswaffen kommen konnten, diese Frage kommt im öffentlichen Diskurs, nur hinter vorgehaltener Hand zur Sprache. Das ist doch Hypokrit!
In Amsterdam, Paris und Berlin nehmen die Attacken gegen Juden zu, es ist keinesfalls so, dass 80 Jahre nach der Machtergreifung Juden ungefährdet, mit Keppi auf dem Kopf über die Straßen in Europa laufen können. Sich vor Übergriffen und Anfeindungen zu schützen gehört auch nach 45 zum Alltagsleben europäischer Juden. Juden werden faktisch vor die Wahl gestellt ob sie weiter in Paris. A’dam. Berlin oder in Tel Aviv leben wollen. Dabei ist nicht der Einzelne Muslim das Problem, siehe Lassana Bathily, sondern die von Hasspredigerns aufgepeitschten Horden, die Tod den Juden skandieren.
Der 07.01.2015 ist für Europa, was der 9/11 für die USA ist, eine Zeitmarke. Nie waren die Staaten so stark, nie hatten sie so viel Geld aus Steuereinnahmen und doch sind sie nicht in der Lage unsere Bürgerfreiheiten zu garantieren. Sie können tatsächlich nicht verhindern, dass paramilitärisch organisierte Psychopathen eine Zeitungsredaktion stürmen. Das kann heute an jedem anderen Ort in Europa wieder passieren und da ist die Angst der Zeitungsverleger verständlich und doch sind es nicht die Wutbürger in Dresden, die die Redaktionen stürmen werden, sondern religiöse Fanatiker – die im religiösen Empfinden verletzt, einem Wahn frönen.
Es braucht sehr viel mehr Spottlust und die abrahamitischen Religionsgemeinschaften müssen sich den Spott und Humor auch gefallen lassen. Dem politischen Diskurs ist sowieso der Humor abhanden gekommen. Wir brauchen weniger Gesinnungsjournalismus, weniger Meinungsmache und dafür sehr viel mehr Aufklärung. Wir brauchen scharfzüngige Satire, gerade im Umgang mit den Komfortzonen des Tagespolitik. Spott darf nicht gefällig sein, er soll pointieren, die Karikatur unterstreicht clownesk, was mit Worten nicht auf den Punkt gebracht werden kann. Nils Minkmar schreibt treffend unter der Überschrift „Die Schüsse der Terroristen“, ich würde präzisieren – religiösen Fanatikern „galten einem Prinzip“,
(FAZ, vom 11.01.2015):
Wir sind bei „Charlie Hebdo“ in die Schule der Anarchie gegangen. Sie ist die eigentliche Ressource Frankreichs. Jetzt müssen wir zeigen, was wir gelernt haben.
Die ganze Situation ist hypokrit, aber wir marschieren mit und weiter, und hoffen auf bessere Zeiten. Oder eskaliert das ganz doch und endet in einem riesigen Desaster?