„Wer sich selbst in Not bringt darf in unserer Gesellschaft nicht mit Hilfe rechnen, nur wer unverschuldete Not erfährt dem wird geholfen.“
Ich schicke dieses Zitat vorweg, weil es eine liberale Sozialethik wiedergibt, mit der wir im eigenen Land die offenen sozialen Fragen zu regeln pflegen. Wir sollten uns nicht auf eine Sozialethik einlassen, die unterhalb dieser Norm gehandhabt wird.
Anlass meines Blogbeitrages ist ein Beitrag des Politikwissenschaftler Peter Graf Kielmansegg der heute in der FAZ zur Flüchtlingsfrage erschienen ist. Kielmannsegg plädiert in seinem Beitrag dafür, uns in der Diskussion, um die Flüchtlingsfrage ehrlicher zu machen, d.h. uns weniger in Empörung zu erschöpfen und uns dafür mehr die eigene Ratlosigkeit, bei der Lösung der Flüchtlingsfrage und dem Umgang mit den Migrationsströmen in Afrika, einzugestehen. Kielmannseeg schreibt am Ende seines Beitrages: „Sich die Ratlosigkeit einzugestehen bedeutet (..), dass wir anders über das, was zu tun möglich und nötig ist, nachdenken; nicht in der Gewissheit, die mit der Empörung immer einhergeht, sondern suchend, in klarem Bewusstsein des Bruchstückhaften aller Bemühungen. Es ist wahrscheinlich, dass wir mit dieser Haltung einer Antwort am Ende näher kommen als mit der Empörung über die Unmoral Europa“
Aber ich bin empört und ich gestehe mir zu ratlos zu sein, beides ist möglich. Ja, es geht um Haltung und die Haltung entspricht einer Kultur, wie wir miteinander umgehen, wenn einer unverschuldet in Not gerät. Was die jungen Menschen in die Flucht treibt und ans Mittelmeer haben diese Menschen nicht zu verantworten; wenn sie sich auf den Weg machen, dann weil sie für sich eine neue Lebensperspektive suchen. Ob sie diese Perspektive, für ein gedeihliches und glückliches Leben, bei uns dauerhaft finden oder ob Europa eine Station ist auf dem Weg dahin, lässt sich vorweg nicht beantworten.
Die Flucht ist kein Ziel, sie ist ein Prozess, wie auch das Asyl kein Ziel sein kann, sondern der Weg aus der Perspektivlosigkeit. Wer glaubt Flüchtlinge internieren zu müssen, betrachtet sie nicht als Menschen mit individuellen Kompetenzen und Fähigkeiten, sondern als eine Störung, die makrophiert werden muss. – Die Einkapslung ist die Antwort auf die Bewegung des Individuums, raus aus seiner Krise. Wer so mit der Mündigkeit von Menschen umgeht verachtet die individuelle Lösungskompetenz und die Natur der Menschen. „Er projiziert gleichsam seine Angst vor der Reise auf die Reisenden und verbietet ihnen die Weiterreise, wo er eigentlich Sprit liefern sollte, damit der Reisende seine Tour, raus aus der Krise fortsetzen kann.“
Wenn wir das verstehen, verstehen wir auch, dass niemand geht, ohne das Versprechen wieder zu kommen. Vor was flüchten die Menschen und was suchen sie? Niemand flüchtet, wenn er sich nicht bedroht fühlt und niemand will die eine Bedrohung durch die andere ersetzen. Erst wenn die Räume und Zeiten frei sind von existentieller Bedrohung, hören die Menschen auf zu flüchten, werden sie bleiben, wo sie sich sicher fühlen, wo sie ihrer Phantasie freien Lauf lassen, wo sie durchatmen können.
„Selbst schuld und das Boot ist voll“, heißt es dann. Die Antwort auf die Migrationströme heißt Entwicklung, Entwicklung heißt Bildung, Bildung heißt in die Zukunft zu investieren und wer das nicht will, der will, dass massen ersticken und ihre Weiterentwicklung erstarrt. Eis ist eine Entscheidung für oder gegen Entwicklung.
Ich empöre mich, weil die Politik die Eskalation sehenden Auges hingenommen hat, statt sich für die Entwicklung zu entscheiden, entschied sich für den Stillstand.
Ich bin empört, weil die Gemeinschaft tatenlos zu schaut, wenn Menschen vor Lampedusa ertrinken. Menschen die auf der Flucht vor der Bedrohung und auf der Suche nach Weiterentwicklung sind.
Ich empöre mich, weil die Politik die Rettung der ertrinkenden Menschen vom Engagement Einzelner abhängig macht. (Dieses Engagement, wie löblich es auch ist, wird dann in höchsten Tönen gepriesen, als Beispiel zivilgesellschaftlichen Engagements, dann wird die Fahne der Menschenrechte hoch gehalten, als ob es die Aufgabe des Einzelnen sei, die Einhaltung der Menschenrechte zu garantieren.)
Wir können den Menschen bei der Suche nach neuen Lebensperspektiven helfen, sie unterstützen ihre Weiterentwicklung fortzusetzen, das geht aber nur wenn wir sie nicht einsperren und ihnen das Heft des Handeln aus der Hand nehmen und ihnen die Mündigkeit über ihr Leben mit Instruktionen absprechen. Sie brauchen weniger Unterstützung als wir meinen, so lange wir ihnen nicht die Freiheit nehmen, eigene Lösungsansätze zu entwickeln.
Wir sind nicht ratlos, wenn wir offen damit umgehen, was wir wirklich für sie tun können und wo unsere Begrenzungen liegen. Niemand flüchtet aus seiner Heimat, ohne die Aussicht auf Rückkehr und hierin liegen für uns mehr Chancen als Risiken. Wenn wir die Ursachen, wie auch die Folgen der Migrationsströme nicht beheben – was bleibt uns dann – noch mehr Tote? Ich bin fassungslos, über die Tatenlosigkeit der Politik. Was da flüchtet und sucht sind Menschen mit Talenten und einem großen, ungebrochenen Lebenswillen. Wieso rechnen wir nicht mit ihrer Lösungskompetenz, was macht uns glauben, sie suchten nicht mehr als Asyl, um ihre Probleme zu lösen?
“Je trouve ici mon asile” steht auf einer Kanzel einer kleinen Gemeindekirche im Hessischen und erinnert an die Flucht der Waldenser vor über 300 Jahren.