…“Ist es e i n lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als e i n e s kennt?“ …
„Wenn ihr aus zwei eins macht und wenn ihr das Innere wie das Äußere macht und das Äußere wie das Innere und das Obere wie das Untere und wenn ihr aus dem Männlichen und dem Weiblichen eine Sache macht, so dass das Männliche nicht männlich und das Weibliche nicht weiblich ist …“ (via Satyamnitya)
Vor gefühlten 1000 Jahren wurde einer Vater von Zwillingen. Zwei Mädels. Er war so erfüllt von Glückseligkeit und benommen von Eitelkeit, dass er als bald, nach der Geburt im Hochsommer, der Mama eine Brosche schenkte. Eine Brosche gemacht aus einem großen Lapislazuli, von einer jungen Goldschmiedin, nach dem Bild des Tai Chi eingefasste. Ein gelungenes Unikat. Passend zu den Töchtern. Zum ersten Geburtstag, immer noch benommen von soviel Glückseligkeit, kaufte er dann noch zwei hölzerne Kerzenhalter, die er zum Tai Chi zusammen legen konnte. Die Goldschmiedin wurde Bänkerin in Frankfurt am Main. Mutter und Vater sind lägst getrennt, die Mädels erwachsen. Es war ein Symbol, ob die beiden Mädels eineiig sind wurde nie geklärt, sie sind so verschieden und doch so eins, sie gleichen sich und sind zwei ganz unterschiedliche Wesen.
Alle Kreaturen sind unterteilt in gegensätzliche
Paare von Yin und Yang und sie sind mit der
Chi-Energie erfüllt. Die gesamte weitere Entwicklung
entsteht durch ihre gegenseitige Interaktion. (Lao Tse)
Was ist weiblich, was männlich? Wann sind Testosteron und wann die Östrogene gefragt? Es gibt Berufe, wo du keinen Mann, keine Frau antreffen wirst. Beim Teeren Im Straßenbau, auf einer Ölplattform, im Flöz Untertage und im Wald, da arbeiten Männer. U-botte sind Frauen freie Räume. Endemol beschäftigt in seiner Verwaltung ausschließlich Frauen, Sachbearbeiterinnen sind in Amtsgerichten, der öffentlichen Verwaltung mehrheitlich weiblich. Und die Cutter in der Filmbranche, die sind weiblich. Grundschulen sind nahezu männerfrei Refugien. Zahnarzthelfer sind weiblich. Der apostolische Stuhl wird von Männern besetzt, die selten echte Männer sind, zu mindestens spielt das Testosteron als Auswahlkriterium keine wirkliche Rolle. Die Augabe könnte auch von Eunuchen erfüllt werden. Männer sind das keine. Was aber sind sie dann?
In der Buber’schen Übersetzung der Bücher Moses heißt es: Gott schuff männlich weiblich und kein Und trennt die beiden, wie in allen anderen Bibel Übersetzungen. Es bleibt offen, ob es sich dabei um eine oder zwei Personen handelt. Es sind zwei Eigenschaften, wie Ying & Yang, wie Goethe es in seinem Gedicht über das Gingoblatt schreibt. Zwei Polaritäten und doch eins.
Die Unterscheidung ist konstruiert, wie auch die ganzen Rollenzuweisungen, sie sind Mittel zum Zweck – das ganze ist eine Konstruktion zur Stigmatisierung und jede Stigmatisierung hat nur einen Sinn, sie will selektieren. Herrschen und dominieren. Ganz wie Mengele an der Rampe von Auschwitz, wenn er mit seinen, vor der Brust gekreuzten Hände, nach links oder rechts wieß. Die Kultur ist nicht entschieden, aber die Kultur entscheidet. Bei Lao Tse heißt es: „Er erhöht die Menschen nicht durch das Merkmal ihres Geschlechts oder ihrer anderen äußeren Qualitäten, sondern er sieht ihre Essenz: ihre Seele.“
An der Rampe in Auschwitz haben die Schlächter, die Menschen nach den Merkmale des Geschlechts erniedrigt und von einender getrennt. Getrennt, was eins ist. Sie haben sie erniedrigt und getrennt nach den Merkmalen ihrer Zugehörigkeit. Getrennt, was zusammen gehört. Sie haben das Eine und Andere erniedrigt und dann getrennt, obwohl das Eine nicht sein kann, ohne das Andere.
Um so erstaunlicher, dass diese Erkenntnis vom Einssein, von weiblich und männlich, von Ying und Yang, heute noch vor den Toren Roms halt macht. Was für ein Geist herrscht unterm selig verzierten Gewölbe der Sixtinischen Kapelle? Michelangelos Arbeit scheint den Geist der dort wandelnden nicht zu erwecken. Sie bleiben die Gefesselte ihrer Glaubenssätze. Der apostolische Stuhl verhöhnt die Einheit des Weiblich-Männlichen, scheut sie, wie der Teufel das Weihwasser scheut.
Vor 200 Jahren entstand, von einer Romanze, zwischen dem 66. jährigen Dichter und der 35. jährigen Bankiersgattin, getragen, – ich schließe die Augen und bilde mir ein, im Schatten eines hohen Baums, am Sachsenhäuserufer, vielleicht im Garten der Gerbermühle zu sitzen -, jenes Gedicht Goethes, das wie kein anderes, die Überwindung des Dualismus, die Polarität und das Einssein thematisiert.
Gingo biloba
Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie’s den Wissenden erbaut.
Ist es e i n lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als e i n e s kennt?
Solche Frage zu erwidern,
fand ich wohl den rechten Sinn;
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Daß ich eins und doppelt bin?
(J.W.v.G.1815)
Und weiter heißt es bei Goethe …
Buch des Sängers
So der Westen wie der Osten
Geben Reines dir zu kosten.
Laß die Grillen, laß die Schale,
Setze dich zum großen Mahle:
Mögst auch im Vorübergehn
Diese Schüssel nicht verschmähn.
Wer sich selbst und andre kennt
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.
Sinnig zwischen beiden Welten
Sich zu wiegen laß ich gelten:
Also zwischen Ost- und Westen
Sich bewegen sei zum Besten!
Quelle J.W.v.Goethe West-Östlicher-Diwan